Erst das Gedicht, dann unsere Gedanken:
Seitdem sie mich verlassen hat, geht diese Katze ein und aus in einem Lauf. Ganz wie es ihr passt; Türen, Fenster, sogar Wände halten sie nicht auf.
Als sie noch bei mir war, starrten die Spatzen hinter dem Eisentor auf unser Leben mit neidischen Wangen. Sie hat sich stets um mich gekümmert und befriedigt in allen Belangen; auch hat sie mir den Halbmond in ihren Händen gebracht – wenn Stromausfall war in der Nacht; dann strahlte sie mich an mild kühl – in Sommernächten, die feucht und schwül.
Eines Tages machte ich den Fehler und fing ein Gespräch über das Glück mit ihr an. Entgegen meiner üblichen Zurückhaltung sagte ich zu ihr wie im Bann: „Glück ist die Hälfte, die Leute nicht haben.“ Am nächsten Tag war sie fort – ohne Bye oder etwas zu sagen.
Sie ist keine von denen, die den Schminkspiegel mit einer Lippenstift-Notiz beschmutzt. Einen Kuli oder so hat sie auch nicht genutzt. Das einzige, was sie machte – vermutlich im Sitzen – war, die folgenden Worte mit ihren Nägeln in meine Tapete zu ritzen: „Von jetzt an werde ich dein Glück und du meines besitzen.“
Seitdem diese Katze ein und aus geht – ganz wie es ihr passt – habe ich sie nie wieder gesehen, immer nur knapp verpasst. Vermutlich, weil sie meist gegen Mitternacht kommt – und nicht geht bevor der Morgen mein Gesicht weckt und sonnt.
Shang Qin, aktiver chinesischer Schriftsteller
Übersetzung von KatzenWieWir
Unsere Gedanken
Es liest sich wie eine Geschichte.
Man merkt kaum, wie oft sich verschiedene Stellen reimen.
Wir haben das Gedicht mit gemischten Gefühlen gelesen und mussten auch etwas länger darüber nachdenken.
Jedenfalls finden wir an diesem Gedicht vieles gut: Es ist fantasievoll, trivial und irgendwie auch tiefgründig.
Solange du keine schlechten Emotionen zeigst (obwohl sie ja menschlich sind) ist in vielen Partnerschaften alles schön und gut. Wenn du aber realistisch, pessimistisch, düster oder schwierig wirst, kann sich das schnell ändern. Der zur Beziehung unfähige Partner ist weg, auch wenn du ihn so liebst, dass es sich anfühlt, als sei er noch jede Nacht bei dir.
Andererseits zeigt sich die Natur einer Katze:
- Sie ist frei (bist du gut, bleibt sie da; bist du schlecht, geht sie weg)
- Sie ist zweideutig (wendet sich schnell von dir ab, bleibt dir aber treu)
- Sie möchte, dass es dir gut geht, wenn du traurig oder schlecht drauf bist
Was denkst du?